Bertram Bartl
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Das Malen und der Tod

Einige Überlegungen zu Bertram Bartls Totentanz

Bertram Bartls Totentanz ist ein Reigen von zehn großformatigen Ölbildern. Zwischen 1991 und 2000 entstanden, zeigen die meist düsteren Leinwände ein Panorama des Schreckens, das den Tod als Teil unseres Lebens in immer neuen Variationen darstellt. Traditionelle Themen wie der Tod und das Mädchen, der Tod und der Harlekin oder der Tod als General sind ebenso darunter wie Bereicherungen des jahrhundertealten Themas zum Beispiel durch ein Wal-Skelett. Schon bei nur oberflächlicher Betrachtung fallen die getreppten Umrisslinien auf, die man von digitalen Bildern in mangelhafter Auflösung gewohnt ist. Die Bilder des Totentanzes von Bertram Bartl sind nicht einfach nur die Aneignung eines der großen Themen der europäischen Kunstgeschichte und eine Reflexion auf die letzten Wahrheiten, sie sind zugleich ein Versuch, die Grenzen der Malerei neu zu bestimmen und sie durch die Zwischenschaltung des Computers auf ihre Gültigkeit in einer Zeit intelligenter Technologien zu befragen.

»Geschichter« vom Tod

Historische Totentänze zeigen meist in mehr oder weniger zahlreichen Beispielen den Tanz des Todes mit Repräsentanten der jeweiligen Gesellschaft (Anm. 1). Vom Würzburger Bilderbogen des 14. Jahrhunderts bis zur volkstümlichen Umsetzung des Basler Totentanzes in den Zizenhauser Figürchen von Anton Sohn aus dem 19. Jahrhundert oder dem großen Totentanz von HAP Grieshaber ist der Tod die Macht, die am Lebensende gesellschaftliche Unterschiede auslöscht und den Menschen auf seine körperliche Existenz zurückführt. Im Gegensatz dazu ist der Totentanz von Bertram Bartl einfacher und komplexer zugleich. Wie historische Totentänze zeigt Totentanz 5 den Tod als General, der den schwer verstümmelten Soldaten fast schützend an den Schultern fasst und ihn in sein Reich entführt. In Totentanz 3 bittet ein Harlekin das klappernde Skelett um einen gewagten Tanz und demonstriert den illusionären Charakter der Welt als großes Marionettentheater. Der Metzger als Statthalter des Todes in unserem Leben wird im Totentanz 4 vom Tod durch einen brutalen Kuss um sein Leben gebracht.

Daneben gibt es jedoch einige Bilder, die die feinen Unterschiede außer acht lassen und den Schrecken des Todes selbst darstellen. Totentanz 8, die Auferstehung ist ein gespenstisches Panorama zeitgenössischer Versuche, den natürlichen Tod hinauszuzögern. Auch Totentanz 6, mit dem Tod zwischen der alten und der jungen Frau, verweist auf unsere Existenz als Fleisch mit Verfallsdatum. Das trommelnde Skelett schlägt den Rhythmus zur düsteren Melodie des menschlichen Lebens, die vom blühenden Leben mit erotischer Ausstrahlung zur alten Vettel führt, die dem Diesseits im Fahrstuhl zu entschweben scheint.

Anders als in den historischen Totentänzen sind in den Bildern von Bartl immer wieder Ansätze zu Erzählungen gegeben, zu kleinen Geschichten vom Neid der Alten auf die Jungen, vom schrecklichen Leid, das sich in den klinischen Räumen unserer Krankenhäuser und Pflegestationen stapelt, oder vom rosigen Metzger, der vielleicht einmal zu oft das Messer gegen die Kreatur erhoben hat, um nun selbst das Opfer des unerbittlichen Knochenmannes zu werden. Totentanz 7, The Jealous One oder Der Eifersüchtige benannt, entfaltet die latente Erzählung zu einem kleinen Drama, wenn zwei Knochenmänner um die gleiche Schöne buhlen. Der eine – im Liebesakt mit einer skelettierten Puppe – wird sich nur kurz an der scheinbaren Freude ergötzen, denn der andere schleicht schon herbei, eifersüchtig, dass der Voodoo-Zauber seines Genossen zur vorübergehenden Belebung der Puppe geführt hat. Während also die Tanzbilder der historischen Totentänze bei großer Beweglichkeit zugleich von ikonischer Stille waren, so schleicht sich bei Bartl immer wieder ein erzählerisches Moment ein, das aus den Ikonen des memento mori schaurige Genrebilder macht. Als Bartl seine Abschlussprüfung an der Karlsruher Akademie ablegen musste, lautete das Thema »Gesichter und Geschichten« – eine Kombination, die er zum Begriff »Geschichter« zusammenfasste und die seither eine der Grundlagen seiner Arbeit als Maler bildet. Malerei ist für den Künstler die Aufrichtung einer monumental strukturierten Fläche, die dem Betrachter gegenüber steht und unverändert bleibt. Malerei ist aber auch ein Gefüge aus inhaltlich besetzten Elementen, die den Betrachter in den Sog von Erzählungen hineinziehen können.

Die Pixel und der Tod

Wenn in der Umsetzung des Motivs des Totentanzes ein konzeptuelles Interesse an der Malerei als Malerei zum Vorschein kommt, so gilt das noch mehr für den Einsatz des Computers. Einzelne Bilder von Bartl zeigen sehr deutlich die Rasterung eines Computerbildes, obwohl sie mit dem Pinsel gemalt sind. Grund dafür ist die seit gut zehn Jahren anzutreffende Arbeitstechnik des Künstlers, ein Motiv in einer Zeichnung zu entwickeln, diese dann zu scannen und die resultierende Bilddatei digital zu verändern, bevor sie als Projektion auf die Leinwand zum Ausgangspunkt des Ölbildes wird.

Bartl verbindet die traditionelle Ölmalerei mit den neuesten technischen Möglichkeiten der Digitalisierung. Ein Blick auf den Entwicklungsprozess zeigt die dreistufige Veränderung der »authentischen« Handzeichnung des Harlekins aus Totentanz 3 zum Ölbild. Ausgangspunkt war eine Zeichnung eines Harlekinkopfes. Die Maske des Harlekins erscheint an den Fäden einer höheren Macht aufgehängt als Symbol für die vom Menschen nicht beherrschbare Dialektik von Leben und Tod. Das Gesicht als Maske spiegelt die individuelle fleischliche Hülle über einem gleichsam anthropologischen Skelett wider, das die Biographien überdauert. Der Harlekinkopf wurde von Bartl auf Papier montiert und zeichnerisch zu einer Harlekinfigur weiterentwickelt, bevor diese gescannt wurde. Die Bilddatei wurde anschließend grob gerastert und durch einen Knick in der Mitte und am Kopf verzerrt. Erst danach erfolgte die Montage mit einer durch ein ähnliches Verfahren hergestellten Figur des Todes. Vergleichbar ist auch das Verfahren bei Totentanz 2, Der Tod und das Mädchen, wo Bartl für das Mädchen eine solarisierte Zeichnung verwandte, die aus dem Umkreis seiner Säulenfiguren stammt. Die Solarisierung ist dabei das Verfahren, das der feinen Strichzeichnung erst ihre Präsenz verleiht – in paradoxer Weise durch die Umkehrung der schwarzen Linien in Leerräume. Nur die begleitenden Schattenränder führen zur Errichtung eines stabilen Gerüstes. Erst nach diesen Verfahren wird das so entstandene Bild auf die Leinwand projiziert und mit Farbe ausgeführt. Montage und digitale Verarbeitung sind Verfahren, die bei Bartl zwei Seiten eines Arbeitsprozesses darstellen. Die Vorstellung einer authentischen Malerei als Ergebnis eines schöpferischen Prozesses oder handwerklicher Perfektion ist gebrochen durch die Zwischenschaltung der Maschine Computer, in der das manuelle Bild vorübergehend einen virtuellen Status erhält, bevor es wieder in die Malerei und damit in die körperliche Existenz zurückgeführt wird. Die ersten Montagen in der klassischen Avantgarde sprengten die homogene Ordnung und kompositionelle Einheit des Bildes zugunsten eines Aufeinandertreffens heterogener Elemente und integrierten dem Bild darüberhinaus Realitätsfragmente. Von der entgegengesetzten Richtung arbeitet die Pixelung an der Auflösung einer hierarchischen Bildordnung und neutralisiert die Bildelemente durch die Auflösung in kleinste, in Form und Größe identische Bildpunkte. Allein farbliche Varianten vermitteln im Gesamtbild den Eindruck einer Gestaltung. Verbindendes Element zwischen Montage und Digitalisierung ist so der Verlust einer Bildordnung, die ihre Authentizität aus der vom Künstler konstruierten Homogenität des Bildes erhielt. Das Paradoxon von malerischer Unmittelbarkeit und verfahrenstechnischer Neutralität schreibt sich als unlösbarer Zwiespalt in die Bildformen ein.

Warum aber die paradoxe Kombination von Computertechnik und jahrhundertealter Malereitradition? Bei näherer Betrachtung fällt der gezielte Einsatz der Pixelung in den Bildern des Totentanzes auf. Zwar liegen allen zehn Gemälden am Computer veränderte Zeichnungen zugrunde. Dennoch sind diese nicht bei allen Bildern in gleicher Weise erkennbar. Am auffälligsten ist die grobe Rasterung an Stellen wie den verwüsteten Köpfen des Metzgers oder des Generals, die ihre Brutalität erst durch dieses Verfahren erhalten. Das massive Ornament der gezackten Umrisslinie wirkt wie ein brutal in einen organischen Zusammenhang eingesetzter Widerstand. Meist sind es die Köpfe, die von der Zersetzungsarbeit des digitalen Bildaufbaus sprechen, aber auch die Hände, ebenfalls in der Figur des Metzgers, die bei Berührung mit dem Tod zerfallen. Die alte Frau aus Totentanz 6 scheint dank Solarisierungseffekt schon in einem fortgeschrittenen Stadium der Osteoporose zu sein, und die gekrümmten Skelette der Auferstehung (Totentanz 8) erinnern nicht nur an ein Kranken-, sondern auch an ein Beinhaus. Die Pixelung ist weitgehend auf den Tod und die von ihm anvisierten Gestalten beschränkt. Darüberhinaus ist sie auf die gezeichneten Figuren beschränkt, während die malerischen Hintergründe ganz aus der Farbe entwickelt wurden. Bartl reiht sich damit in die jahrhundertealte Diskussion um »disegno« und »colore«, um Zeichnung und Farbe ein. Stand oft genug die Linie für künstlerische Rationalität, während die Farbe als sinnliches Phänomen galt, so überführt Bartl den alten Zwiespalt im Hinblick auf die Neuen Medien als Herausforderung und Widerstand gegen eine unreflektierte Malerei. Damit verbindet er die ikonographische Tradition des Totentanzes mit der Reflexion über den Stand der Malerei im digitalen Zeitalter. Nicht nur ein memento mori an den ergriffenen Betrachter wollen diese Bilder sein, sondern zugleich auch ein Plädoyer für die Materialität von Malerei, die den körperlosen digitalen Welten zumindest ihre dingliche Realität voraus hat.

Eine ganz ähnliche Verwendung digitaler Techniken findet man bei Markus Käch, der in seinem Projekt der Medialen Krankheiten den Zusammenhang von Digitalisierung und Bedrohung unserer körperlichen Erfahrung demonstriert. »Extrudierte Hautexzeme« oder das »Shear-Syndrom«, eine wellenförmige Veränderung der Gliedmaßen, erheben Fachvokabular von Bildbearbeitungsprogrammen zu diagnostischen Begriffen, die die Flüchtigkeit des medialen Bildes als pathologisches Phänomen beschreiben. Beide Konzepte verbindet die Digitalisierung des Bildes als Verlust und lässt die neuen Medien unter dem Zeichen einer »Ästhetik des Verschwindens« (Paul Virilio) erscheinen, wo Realität verloren und die Authentizität der Kunst in einer amorphen Wolke aus neutralen Elementen untergeht. Die Rückübertragung in Malerei durch Bartl ist demnach ein Schritt, mit dem die Malerei ihrer neuesten und erfolgreichsten Konkurrentin begegnet, ein Schritt, der den Totentanz der Menschen mit einem Totentanz der Bilder überlagert. Bartl setzt den Verlust von Körperlichkeit und materiellem Substrat in den digitalen Medien mit dem Zerfallsprozess des menschlichen Körpers gleich. Die Bilder Bertram Bartls sind damit auch ein Versuch, im medialen Crossover dem Tod der Malerei eine ästhetische Form entgegenzusetzen, die die Malerei als nicht nur legitime, sondern notwendige Form künstlerischer Wirklichkeitsbewältigung versteht.

Der Tod und das Überleben in der Kunstgeschichte

Die Bilder vom Tod in den Totentänzen der letzten 500 Jahre sind Ausdruck einer der wenigen Gewissheiten, die der Mensch auf Erden besitzt: dass die irdischen Normen mit dem Tod ein Ende haben, was immer auch danach kommen möge. Die Imago mortis aus Hartmann Schedels Weltchronik von 1493, in Holz geschnitten von Michael Wolgemut, ist so ein Sinnbild für die christlich fundierte Gewissheit, dass nach den irdischen Kümmernissen der Tod als Befreiung auftritt. Der Holzschnitt steht zwischen den Kapiteln »Über den Tod und das Ende der Welt« und »Das allgemeine Gericht« und damit zwischen Ankündigung und Einlösung des Versprechens des jüngsten Tages. Grund genug für den Tod, auf einer Schalmei zum fröhlichen Tanz zu blasen angesichts des nahenden jenseitigen Heils. Von Bartl ist der Tanz der drei Skelette in Totentanz 9, der Gesamtschau, aufgenommen worden. Hier ist der einst fröhliche, wenn auch makabre Tanz durch die Begleitung des Gehängten, des Naseweis und des morbiden Liebespaares zu einem sarkastischen Reigen mutiert, der die körperliche Lust als einziges irdisches Glücksversprechen zeigt, das jedoch vor der unerbittlichen Uhr keinen Bestand hat.

Seit Niklas Manuel und Hans Baldung Grien ist das ungleiche Paar aus verführerischer – weiblicher – Nacktheit und faulendem Verfall eines der großen Themen der Kunstgeschichte. Für das Paar auf Totentanz 9 stand die Radierung Das Mädchen und der Tod von Edvard Munch Pate, auch wenn das von Bartl ausgeführte Paar mit dem von rechts nahenden Tod und der frontal von vorne gezeigten Frau eher auf Renaissance-Vorbilder zurückgeht. Für Munch war die Verschränkung von Sexualität und Tod ein Verweis auf die anthropologischen Grenzen der menschlichen Existenz, und vielleicht, wenn man die ornamentale Randgestaltung als Spermien und Fötenköpfe interpretieren will, auch ein Hinweis auf das Überleben der Gattung über den Tod des Individuums hinaus (Anm. 2). Noch prägnanter formulierte Horst Janssen das Thema Tod und Sexualität in Zeichnungen und Radierungen. Die vielleicht extremsten Darstellungen finden sich in der Folge Postskriptum von 1985, die in verschiedenen Variationen den Verkehr zwischen Tod und Frau zeigen. Wie in Bartls Totentanz 7, The Jealous One, vergnügt sich der Tod mit einer weitgehend skelettierten Frau, denn, wie es Horst Janssen formuliert: »Ist doch seine [des Todes] ureigenste Domäne das Feld, auf dem Lust und Schönheit in fortwährender Vereinigung und Abschied sich tummeln und trennen« (Anm. 3). In diesen Beispielen übernimmt die Sexualität die Rolle, die früher die christliche Heilsgewissheit besessen hatte. Sie ist ein Versprechen, ein Versprechen auf den sicheren Tod und gleichzeitig auf ein Weiterleben, das durch die Zeugung garantiert wird.

Als Gegenbild zu diesen Sinnbildern einer verzweifelten Todesfurcht und Lebenssehnsucht kann der Totentanz 8 verstanden werden, der nichts von der gebrochenen Zuversicht der erotisch inspirierten Bilder in sich trägt, sondern die Skelette in einem kalten grünen Raum mit ihrem Schrecken alleine lässt. Der Untertitel Auferstehung nimmt Bezug auf Max Beckmanns Auferstehung, in der ein vergleichbares Monumentalformat einen zum Licht drängenden Menschenstrom zeigt. Während bei Beckmann jedoch eine an Nietzsche angelehnte Lichtmetaphorik im oberen Bildteil, wenn auch keine himmlische, so doch eine irdische Erlösung andeutet, reduziert Bartl die Auferstehung auf die verzweifelten Momente, in denen technische Apparaturen den Zugriff des Todes aufschieben oder revidieren. Die moribunden Skelette sind nun keine Heilsträger mehr, sondern eher reale Alpträume, die sich Tag für Tag in den Spitälern ereignen können.

Eine kleine kunsthistorische Ahnengalerie ist mit diesen Beispielen aufgefahren, die nicht nur vom Reiz der alten Bilder für die Gegenwart sprechen, sondern wie die Malerei selbst das Überleben der Bilder angesichts des Todes der Malerei aufs Korn nehmen. Bilder entstehen und werden benutzt, bis einige gleichsam sedimentieren und Teil des kulturellen Selbstverständnisses einer Gesellschaft werden. Die Bilder vom tanzenden Tod gehören dazu und zeigen uns unser eigenes Ende, wie sie vom Überleben der Kunst sprechen. Jedes Bild, das zum kulturellen Selbstverständnis einer Gesellschaft gehört, ist zugleich eine kleine Botschaft vom Überleben – des Bildes selbst, aber auch der Erinnerung an den Künstler. Wo in den unstrukturierten und manchmal auch ohne menschliches Zutun entstehenden digitalen Bildwelten sowohl die Einzigartigkeit des Bildes wie auch der Künstler als Autor untergehen, da kann der Rückgriff auf die Geschichte zum Garanten der eigenen Identität werden.

Das letzte und das erste Bild

Das letzte Bild des Totentanzes von Bertram Bartl ist das Wal-Skelett, ein weiteres Großformat, jedoch durch Motiv und farbliche Umsetzung unterschieden von den übrigen Bildern des Zyklus. Auch dem Wal-Skelett liegen Zeichnungen zugrunde, die digitalisiert und verzerrt wurden. Im Gegensatz zu den anderen Arbeiten sieht man jedoch nichts von der Pixelung, die Grundlage der Bildstruktur ist. Stattdessen ist es in dunkle, dichte Schwärze gehüllt, die nur durch die Lichtpunkte der Skelette am Grund und dem leichten Relief des Wales unterbrochen wird. Der Totentanz 10 ist ein erweiterter Abgesang auf das Leben, indem nicht nur menschliche Skelette in der Art von archäologischen Grabungsstellen am Meeresboden gezeigt werden, sondern auch das Größte, was unsere Natur zu bieten hat: ein Wal-Skelett. Angeregt durch den Besuch des Rosensteinmuseums in Stuttgart hat der Künstler das Skelett eines Blauwales zum Gedenkstein des Unterganges der Natur erhoben, die nicht zuletzt dank neuer Technologien immer weiter aus unserem Leben verdrängt wird.

Jenseits einer Mahnung an das ökologische Bewusstsein, über der Technikbegeisterung und der Faszination durch virtuelle Welten die Realität nicht zu vergessen, ist das Bild auch in der Tradition der »schwarzen Bilder« zu verstehen, die in der Kunstgeschichte häufig anzutreffen sind. Schwarze Bilder sind ein Anfang – oder ein Ende. Das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch sollte ein Anfang sein, der Beginn eines Reiches der Freiheit und Absolutheit der Kunst. Dagegen markierten die subtile Schwärze bei Ad Reinhard oder die Black Paintings von Frank Stella ein Ende der Malerei, die gleichsam an ein Ziel gekommen ist – auch wenn es viele »letzte« Bilder von Ad Reinhard und gänzlich andere und neuere von Frank Stella gibt. Die gleiche Spannung von Ende und Neubeginn ist im Wal-Skelett anzutreffen, das in seiner konsequenten Verdunklung und Monumentalisierung den Höhepunkt und das Ende des Zyklus darstellt. Gleichzeitig ist es ein Neubeginn, denn die Malerei überlagert die digitalen Techniken so weitgehend, dass diese nur noch untergründig fortwirken. Bartl hebt damit den Kampf zwischen Malerei und digitaler Technik auf eine neue Ebene und verabschiedet den Tod der Malerei.

Reto Krüger

Anmerkungen
Anm. 1: Vgl. neuerdings Sven Drühl, Tanz mit dem Tod, in: Kunstforum International, Bd. 153, Jan-März 2001, S. 46-73
Anm. 2: Gert Kaiser, Der Tod und die schönen Frauen. Ein elementares Motiv der europäischen Kultur, Frankfurt/New York 1998, S. 11/13
Anm. 3: Zit. nach Gert Kaiser, wie Anm. 1, S. 134


Die Ironie des Todes. Eine Provokation

Wer sich heute mit dem Tod beschäftigt, der gerät ins Abseits. Die Sicherung des individuellen Lebens vor Unfall, Krankheit und Tod ist eines der zentralen gesellschaftlichen Ziele. Wer die Gegenwart des Todes zulässt und ihm erlaubt, sich zu zeigen, bricht eines der Tabus, über die sich unsere Gesellschaft konstituiert. Der Tod gilt als der ständige Verlierer. Die Fortschritte der medizinischen Apparatetechnologie schieben die Grenzen des Lebens immer weiter hinaus. Geklonte Ersatzteile für die defekten Organe bringen den Menschen der Unsterblichkeit näher.

Unsere kulturellen Speichersysteme sind neben der Konservierung unserer Körper eine zweite Form der Überlebenssicherung. Sie halten Informationen für die kollektive und individuelle Erinnerung bereit, und schützen so vor dem Tod durch Vergessen. Mit dem Voranschreiten der Digitalisierung erreichen unsere WissensSpeicher eine vorher undenkbare Perfektion. Bisher waren gespeicherte Informationen immer an einen Träger gebunden, der notwendigerweise vergänglich war. Um sie vor dem Verfall zu retten, mussten die Informationen wieder und wieder kopiert werden. Mit jeder Kopie ging ein Teil der urspünglichen Qualität verloren und Neues kam hinzu. Die eigene Unsterblichkeit, die Kanonisierung in den kulturellen Archiven war von der Gunst der Archivare abhängig, die beständig den Verfall der Trägermedien verlangsamen oder durch Kopieren die Informationen erhalten mussten. Die Digitalisierung macht Informationen unabhängig von ihrem Träger. Texte, Bilder und Geräusche können als elektronische Impulse ohne Verluste aufgezeichnet und ausgetauscht werden. Sie existieren als körperlose Datenkonfigurationen, die der Vergänglichkeit entzogen sind. Das Internet als nichtmediales Speichermedium ist ein kultureller Sieg über den Tod.

Durch ihre Auflösung in austauschbare Datenmengen wird die Welt triumphal verklärt. Die Techniker der Unsterblichkeit feiern ihren Triumph in der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes. Seitdem menschliche Individualität als Aminosäuresequenz auszudrücken ist, ist Leben im Prinzip reversibel, »Leben« und »Tod« bezeichnen nur noch Aggregatzustände eines genetischen Programms.

Der Tod als Kehrseite allen Lebens, als universales Prinzip der Vergänglichkeit, ist eine Fiktion. Die Behauptung, dass unsere Welt nur eine Maske sei, die den allgegenwärtigen Tod verbirgt, kann nicht bewiesen und nicht widerlegt werden. Wenn jemand sagte: »Alle müssen sterben!«, wer würde ihm widersprechen? Doch wer könnte sich vorstellen, dass auch er selbst sterben muss? Im Geheimen zweifelt jeder an seinem eigenen Tod. Den Tod als Ende allen Lebens – auch des eigenen – zu akzeptieren, setzt eine freiwillige Entscheidung voraus. Erzwungen werden kann diese Sicht auf die Welt nicht. Und weil der Tod eine Fiktion ist, darf man auch fragen, warum diese Fiktion sinnvoll ist. Kann sie am Ende eine positive Bedeutung haben? Oder handelt es sich doch nur um abseitige Schwarzseherei? Als Fiktion hat der Tod eine Geschichte, und deswegen ist die Frage nach seiner Bedeutung historisch zu beantworten.

Der Knochenmann spukt schon seit der griechischrömischen Antike durch die Köpfe und durch die Bilder der Europäer. Mit seinem entwaffnenden Grinsen hat er aber nie so unverhohlen die Lebenden verschreckt und verführt wie im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Bilder von geisterhaft belebten Skeletten, durch Inschriften zum Reden gebracht, wurden zu einem festen Bestandteil vieler Friedhöfe. Die Legende der drei Lebenden und der drei Toten war zunächst das beliebteste Motiv dieser mahnenden Bilder. »Was ihr seid, das waren wir. Was wir sind, das werdet ihr sein.« So klapperten drei Skelette ihre schauerliche Botschaft drei Rittern entgegen. Die Friedhöfe lagen damals noch vielfach um die Gemeindekirchen herum mitten in der Stadt. Es ging keinesfalls immer ruhig und gesittet zu. Der Friedhof wurde erst später zu einem Ort des Totengedächtnisses und der stillen Vorbereitung auf den eigenen Tod. Es entstand eine eigene Bilderwelt, die in den Predigten der Pfarrer, von ansässigen Seelsorgern oder auch von Wanderpredigern erklärt wurde. Im Jahre 1425 wurde auf dem berühmten Friedhof Aux Saints Innocents in Paris der erste monumentale Totentanz angebracht. Hier war die Konfrontation der Toten mit den Lebenden zu einem Panorama gesteigert, das die ganze Gesellschaft im Angesicht des Todes sichtbar machte. Der Papst, der Kaiser, die Adeligen und die Gelehrten, der Klerus und die einfachen Menschen, alle wurden von Totenfiguren abgeholt und in den Tod geführt. »Alle Söhne Adams müssen sterben – alle sterben für einen Apfel.« Die Kommentare der Todesfiguren sind an Zynismus nicht zu überbieten. Sie treiben ihre makabren Spässe mit den vielen Ständevertretern und nötigen auch dem Betrachter (und Leser der Inschriften) durch ihre Scherze oftmals ein Lachen ab.

Am Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts sahen sich die Menschen mit bisher unbekannten Krisenphänomenen alleingelassen. Innerhalb einiger Jahrzehnte zerbrach das mittelalterliche Weltbild, das jedem Menschen seinen Platz in einer wohldurchdachten Hierachie zugewiesen hatte. Seuchenkatastrophen, Hungersnöte und endlose Kriege führten zu einer sozialen Entwurzelung, mit der die Städte überfordert wurden. Die Kirche war im Schisma zerstritten und ebenso handlungsunfähig wie die durch Kriege geschwächten Monarchien. Die Pariser Theologie spiegelte damals diese Krise genau wider, wenn sie die traditionellen Orientierungsmuster der Scholastik radikal in Frage stellte, ohne neue Ordnungen an ihre Stelle setzen zu können. Das Selbstverständnis der Universitätsgelehrten war durch das Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit angesichts der Krise schwer erschüttert. Eine Avantgarde von Predigern emanzipierte sich von der reformunwilligen Kirche und kehrte auch dem machtlosen Hof den Rücken, um sich wieder auf die Straße zu begeben. Sie sah ihre Aufgabe in der direkten Ansprache der verzweifelten Laien durch eine neue Art der Seelsorge. Die Ars moriendi wurde gepflegt. Jeder sollte durch die Vorwegnahme seines Todes lernen, in der Sterbestunde verantwortungsvoll und gefasst zu handeln. Einige der Reform-Geistlichen selbst gaben große Grabskulpturen in Auftrag, die ihren eigenen Leichnam im Zustand der Verwesung vorführten, obwohl sie ja noch am Leben waren. Sie legten ihnen Gedichte in den Mund, in denen sie bekannten, dass sie trotz ihrer Karrieren und ihrer internationalen Reputation demütig und gottergeben seien, weil sie ihre Vergänglichkeit nicht verleugnet hätten.

Ihre Antwort auf die Verunsicherung der Menschen war eine Schocktherapie: Die Angst war nicht zu zerstreuen und auch nicht zu entkräften. Sie musste radikalisiert werden. Jeder sollte seiner Angst und seinen Zweifeln so weit folgen, bis ein Zustand totaler Verzweiflung und Haltlosigkeit erreicht war. Jede Bindung, jede Gewissheit sollte verneint werden, die Welt musste als ein Trugbild dargestellt werden, dessen Masken nicht länger täuschen konnten. Der Mensch würde sich ins Jenseits der Welt hineinmeditieren müssen; die Erkenntnis der Nichtigkeit der Welt würde ihn ins Nichts des Todes führen. Nur dann wäre er bereit für die Einsicht, dass das Leben in der Welt nur so viel Sinn machte, wie jeder Einzelne ihm zuzutrauen bereit war.

Die monumentalen Totentänze haben dafür ein unvergessliches Bild geschaffen. Der Betrachter lacht mit den Toten über die Kette der Lebenden, die nacheinander vorgeführt werden, nur um sofort mit dem tödlichen Reigen zu verschwinden. So sieht er die ganze Gesellschaft an sich vorrüberziehen. Es ist die Ironie des Todes im Totentanz, dass er das Ende von allem ankündigt und, gerade durch seinen Totalitätsanspruch, eine unendliche Perspektive auf die Welt ermöglicht. Der Totentanz erzeugt einen Diskurs der Endlichkeit, der selbst kein Ende finden kann. Er schafft eine Situation des unendlichen Endes. Der Tod ist nichts anderes als ein allgemeines Äquivalent, das einen universalen Tausch von allem mit allem garantiert. Mit Hilfe des universalen Todes wird die Welt sichtbar, benennbar und darstellbar.

Der Pariser Totentanz war ein Experiment, das die Ironie des Todes popularisierte, weil es die Ironie der Ironie, nämlich die Andacht, anregen wollte. Der Preis war hoch: Die längst angeschlagene Autorität der kirchlichen und aristokratischen Würdenträger wurde vollends untergraben, wenn man die Gleichheit der Menschen vor dem Tod herausstellte. Die Totentänze waren in ganz Europa erfolgreich, weil sich in ihnen die private Frömmigkeit mit sozialer Kritik verbinden konnte. So verbreitete sich das Motiv entlang der Handelswege von Paris aus nach Spanien, über die Niederlande in den Ostseeraum und früh, vielleicht verbunden mit der konziliaren Bewegung, über Basel im Voralpenraum.

Der Füssener Totentanz aus der Annakapelle von St. Mang ist ein Beispiel dafür, wie lebendig die Tradition auch nach vielen Generationen am Anfang des 17. Jahrhunderts noch war. Nach dem Schema des großen Baseler Totentanzes vom Dominikanerkloster und in Anlehnung an Holbein versammeln die zwanzig Tafeln die Gesellschaft ihrer Zeit zur Ständerevue. Totentanzmaler haben nie Vorbilder kopiert, sondern sie haben immer das Modell übernommen und auf ihre Situation zugeschnitten. Schließlich wollten sie ihren Mitmenschen den Spiegel vorhalten.

Bertram Bartl setzt den langen Reigen der europäischen Totentänze mit einem Bilderzyklus fort. Er nimmt sich die Freiheit, mit zeitgenössischen Techniken und einem modernen Bildverständnis auf die Bilderwelt des 15. Jahrhunderts zu antworten. Außer der Schwelle zwischen Tod und Leben, auf der sich die Totentänze bewegen, wird hier die Grenze zwischen den Medien Malerei und Computergrafik ins Spiel gebracht. Die Digitalisierung der Welt im Dienst der perfekten Speicherung und mit ihr unser Fortschrittsglaube werden durch den Pinsel in Frage gestellt. Es erweist sich die unleugbare Gegenwart des Todes – und sein ironisches Potenzial.

Joachim Homann


Idole unter sich

Mick Jaggers Grinsen wirkt in der Verzerrung noch frecher, unverschämter, Mona Lisa gebärdet sich wie im Tiefkühlschock, ihr Lächeln ist total eingefroren. Der Tod, auf der Leinwand eine ins Riesenhafte vergrößerte Furie, beginnt zu rasen, wie eine aasgierige Hyäne schiebt er den Schädel nach vorne. Auf einem anderen Bild verwandelt sich der Sensenmann in eine tanzende Marionette, Marilyn könnte John F. Kennedy küssen, Idole unter sich, Bertram Bartl, der Maler und Zeichner, der KirkebySchüler mischt sich ein, er will den glänzenden Lack der High-Culture-Welt wegkratzen, die glatte Ästhetik, die den Kunstmarkt heute beherrscht, passt ihm nicht, Malerei muß spannend sein, hat doch mit Emotionen zu tun, unter der Farboberfläche darf es brodeln und kochen, innere Bewegung soll rüberkommen, ein neuer Expressionismus oder wie immer man will, wird ausgerufen.

Und Bertram Bartl will auch in die feine Computerwelt einbrechen, Künstlerzeichnung, Bildschirm, Staffelei, Leinwand, Siebdruck sind ihm eins, mit allen Mitteln will er elementare menschliche Situationen ansteuern, Aggression, Triebhaftigkeit, Leidenschaft, der Charme des Horrors, Porno, Körperverletzung, alles soll sein.

Was Bertram Bartl auf solche Art und Weise transportiert: Anwürfe, Beschimpfungen, ernsthafte Gespräche, Rechthabereien, Beißorgien, Zähnefletschen, Liebkosungen, Haßtiraden, geifernde Monologe, penetrantes Anschweigen, bedrohliche Gebärden, Gewalttätigkeiten, andere Deformationen.

Versagt dabei die Zeichnung, kommt die Malerei an ihre Darstellungsgrenze, geht Bartl an den Bildspeicher, wohlgedrechselte Profile der Alltagsbürger verwandeln sich unter der Computertastatur in wutschnaubende, häßliche Fratzen. Die Gefühls-Innereien werden nach außen gestülpt, durch ganz bewußte und gezielte Verzerrung werden unsere Charaktermasken zur Kenntlichkeit entstellt, Bertram Bartl entwickelt Bildgeschichten in Comic-Manier, es sind hochexplosive, hochdramatische Schnappschüsse, es ist purer Expressionismus hoch zwei oder besser hoch drei.

Burkhard Meier-Grolman